Ute Sroka und Birgit Szepanski

Seitenwechsel

Sroka und Szepanski


Mit Seitenwechsel präsentiert Kurt im Hirsch eine Ausstellung, in der partizipatorische Momente im Vordergrund stehen. Die Arbeiten von Ute Sroka und Birgit Szepanski stiften nicht von sich aus Verständnis, sondern sie motivieren zur erfahrenden Beteiligung, zur Lektüre – sie ermöglichen Bewusstwerdungsprozesse über den wechselseitigen (spielerischen) Austausch und führen die Kunst insofern auch aus ihrer autonomen und letztlich wirkungslosen Begrenzung: Verhandelt wird der Status von Kunst gegenüber der (individuellen) Lebenswirklichkeit. Zum Thema der Ausstellung wird dabei insbesondere das Verhältnis von ephemerer und dauerhafter Erinnerungsspur – das kulturelle und individuelle Gedächtnis im Spannungsfeld der Dauer seiner elementaren Materialisierungen, der Schrift und dem Bild. Erinnerung wird als eine (selbst-)schöpferische Tätigkeit begriffen und in ihrer Medialität reflektiert. In den Fokus rückt die Sichtbarmachung der Prozessualität der Erinnerung, ihre Metamorphosen im Wechselspiel zwischen (zu)geschriebenen Fremd- und Selbstbildern bei der rekonstruierenden Interpretation und der Suche nach Verständnis des eigenen und fremden Lebens und Handelns. Diskutiert wird in diesem Zusammenhang gewissermaßen die Frage nach der Autorschaft – das spannungsvolle Verhältnis zwischen Selbst- und Fremdbestimmung bei der Entwicklung von Identität und Persönlichkeit. Spürbar wird einerseits die Kontingenz und Zufälligkeit in der (Selbst-) Wahrnehmung, andererseits die Möglichkeiten zwischen Freiheit und Notwendigkeit, zwischen individuellem Vermögen und gesellschaftlichen Erwartungen, in Hinblick auf den Entwurf und die Gestaltung der eigenen Biographie (Ute Sroka) – die lebendige Qualität und Vergänglichkeit von Wirklichkeit und Geschichte, sowie die Vergeblichkeit aller Versuche ihrer Stillstellung und Festschreibung (ob im Buch oder im Bild) insgesamt (Birgit Szepanski).

In ihrer Arbeit Die verschwundene Frau erzählt Birgit Szepanski die fiktive Geschichte einer Frau, die potentiell in den Räumen der Galerie gelebt haben könnte. Die Erzählung bleibt dabei bruchstückhaft und wird aus unterschiedlichen (Erzähl-)Perspektiven konstruiert. Die Grenzen zwischen Innen- und Außenraum werden aufgehoben. Parallel zum Wechsel der Erzählperspektiven bilden unterschiedliche Darstellungsformen (Diaprojektion, Text und Plakate in den Hinterhöfen) eine zeitliche und räumliche Verschachtelung der Geschichte aus Fragmenten, Perspektivenwechsel und Wiederholungen (Erinnerungen).
Birgit Szepanskis Installation ist eine poetische Inszenierung. Aus einer Art Indizienprozeß entsteht die lebendige Vorstellung einer Figur: Der Geschichte liegt eine dialogische, theatrale Struktur zugrunde – sie ist eine Verhandlungssache, wobei in der erinnernden (Re-)Konstruktion Fakten und Fiktionen nicht zu unterscheiden sind. Wie die Wirklichkeit, muß auch die Kunst selbst permanent neu, jeweils auf das aktuelle Hier und Jetzt bezogen, ausgehandelt und interpretiert werden.

Auch in ihrer zweiten Arbeit betont Birgit Szepanski die Prozesshaftigkeit der Kunst: Ihre Kunst-Hefte dokumentieren Stationen ihrer eigenen künstlerischen Produktion. Die Büchlein verstehen sich als eine Art Archiv der gedanklichen Arbeit, die hier in Form von Beschreibungen, Bildern und Skizzen zwar vorgestellt wird, aber damit letztlich nicht abgeschlossen ist – sie bleibt unrealisiert. Deutlich wird so, dass das Archiv (die Bibliothek oder das Museum) kaum etwas von der Lebendigkeit der Kunst und der Künstlerin retten kann.

Wird von der Kunst vielleicht auch erwartet, sie möge Identität und Ordnung stiften, dann hinterfragt Ute Sroka in Kopf oder Zahl die Konstitutions- und Konstruktionsbedingungen dieser Ordnung. Dem Besucher wird Material um eine fiktive Erbschaft, eine mysteriöse Münzsammlung, präsentiert. Er wird eingeladen, sich mittels Spielkarten mit den Herausforderungen (s)eines Nachlasses auseinander zu setzen.

Mit ihrem Spiel stellt Ute Sroka die Frage nach dem Wechselverhältnis zwischen ererbten Talenten und individuell erworbenem Vermögen (dem persönlichen Kapital sozusagen) einerseits, sowie der Vergänglichkeit von Bedeutung andererseits: Es geht um die Frage, ob ein „geglücktes“ Leben wohl mit einem ökonomischen Einsatz der mitgegebenen Talente zu bewerkstelligen ist? Zentral wird dabei insbesondere die Funktion der Sprache – sie wird auf ihre quasi-Währungsfunktion hin überprüft: Was dem Geld der Sachwert, ist den Wörtern ihre Bedeutung, nur aufgrund der Konvention gelingt in beiden Fällen der (Aus-)Tausch – der Handel beziehungsweise die (kommunikative) Handlung. Worte und Begriffe sind dabei immer auch Gesten, mit denen eine Praxis verbunden ist: Die handlungsleitende Reflexion, die Zielvorstellung bewussten Handelns, bleibt in diesem Verständnis stets auf einen schon vorher mit bestimmter Bedeutung aufgeladenen Begriff bezogen. So scheint Leben, die Ausgestaltung des Menschseins, in einem System des ökonomischen Austauschs von Zeichen gefangen, deren Bedeutung jedoch vergänglich ist (so hat beispielsweise das Wort Talent ursprünglich auch eine Währungseinheit bezeichnet).

In Kindchen, schematisch rekonstruiert Ute Sroka mit kaputten Teilen von industriell gefertigtem Plastikspielzeug schematisch die Konturen eines Kindergesichtes, das unscharf vorprojiziert wird. Erst im Akt der Wahrnehmung wird etwas wie die Niedlichkeit des Gesichtes erfasst. Kindchen, schematisch wird in der Rezeption insofern zu einem beseelten Objekt – wie vielleicht das Kind selbst, angesichts des pädagogisch und ästhetisch als wertlos zu bezeichnenden Spielzeugs, das ihm gekauft wurde. Thematisiert wird so die (auch ästhetische) Gestaltung von Subjektivität – was in diesem Fall angesichts der massenhaft produzierten Gebrauchsgüter aber beinahe groteske Züge annimmt. (Text: Bernd Fessler)